Freitag, 3. Februar 2012


    Wissenschaftler haben bei einer wissenschaftlichen Untersuchung der Legasthenie eine Gruppe von sehr schwach lesenden Erwachsenen mit einer Gruppe von guten Lesern verglichen. Sie haben jeder Gruppe eine Reihe von Leseaufgaben gegeben, die jeweils nächste schwieriger als die vorherige. Gleichzeitig benutzten sie eine ausgeklügelte technische Ausrüstung, um zu sehen, was bei den Versuchspersonen im Gehirnen vor sich geht. Sie stellten fest, dass bei steigendem Schwierigkeitsgrad die schwachen Leser nicht nur mehr Fehler machten, sondern sie auch ihr Gehirn auf andere Art und Weise als die guten Leser benutzten.
    
   Als sie zu der schwierigsten Aufgabe kamen, verbesserten sich die schwachen Leser plötzlich und ihre Gehirnleistung begann sich mehr an die der besseren Leser anzugleichen. Was machte diesen Unterschied aus?

    Die Aufgabe, die den schwachen Lesern am meisten Probleme bereitete, war das Lesen von Wortpaaren bedeutungsloser Wörter und der Versuch zu entscheiden, ob diese sich reimen. (Der "Nicht-Wort-Reim"-Test, der Wortpaare wie "leat"/"jete" benutzt). Die schwachen Leser verbesserten sich - sie benutzten  ihr Gehirn mehr als die guten Leser - als ihnen Wortpaare mit realen Wörtern gegeben wurden und sie gefragt wurden, ob diese Wörter zu ähnlichen Kategorien gehören. (Der semantische Kategorie-Beurteilungs-Test, der Wortpaare wie Korn/Reis benutzt). Wenn also über die Bedeutung des Wortes nachgedacht wurde, dann wurden die Testpersonen bessere Leser.

    Das erscheint wichtig. Über die Bedeutung nachzudenken, scheint den Teil des Gehirns "anzustellen", der nicht arbeitete, als die Leser nur über den Klang eines bedeutungslosen Wortes nachdachten. Aber die Wissenschaftler, die diese Daten aufnahmen, schienen dies nicht zu bemerken. Stattdessen eröffneten diese Wissenschaftler, dass sie eine "funktionale Störung" entdeckt hätten und erzählten der Presse, dass Legastheniker eine Funktionsstörung in ihrem Gehirn haben.

    Die Wissenschaftlerin, die diese Untersuchung leitete, ist Dr. Sally Shaywitz. Ihr Bericht "Funktionale Störung in der Gehirnorganisation beim Lesen von Legasthenikern" wurde in der "Proceedings of National Academy of Sciences" im März 1998 veröffentlicht. Dr. Shaywitz glaubt nicht, wie wir dies tun, dass Legastheniker Bilddenker sind oder dass ihre Leseprobleme mit ihren visuell-räumlichen Denkfähigkeiten verbunden sind. Stattdessen glaubt Dr. Shaywitz, dass Legasthenie durch ein Gehirnproblem verursacht wird, das die Entwicklung des "phonologischen Bewusstseins" beeinträchtigt. Das heißt, dass Legastheniker nicht wissen, wie sie Buchstaben mit dem Klang der Sprache in Verbindung bringen können und Buchstaben/Klang-Kombinationen zu Wörtern zusammensetzen können.

    Als Dr. Shaywitz nun die Legasthenie erforschen wollte, nahm sie eine Gruppe von sehr schwachen Lesern und erhielt besonders schlechte Noten beim Nicht-Wort-Lesen des "Woodcock Reading Mastery" Tests. Diese Leute waren nicht nur schwache Leser, sondern ihr IQ- Durchschnitt lag bei 91. Das ist nun etwas merkwürdig, weil eine Person eine durchschnittliche oder überdurchschnittliche Intelligenz haben muss, damit sie als Legastheniker eingestuft wird. Schwachen Lesern mit unterdurchschnittlicher Intelligenz unterstellt man generelle Lernprobleme, weshalb sie nicht zu den Legasthenikern gezählt werden. Diese schwachen Leser waren also sicher keine repräsentative Stichprobe legasthenischer Menschen.
    
Noch seltsamer war, dass Dr. Shaywitz für ihre Vergleichsgruppe, gute Leser mit einem durchschnittlichen IQ von 115 aussuchte. Das sind 24 Punkte mehr als die der legasthenischen Gruppe, was ein sehr großer Unterschied ist, wenn man bedenkt, dass das gesamte Ziel der Studie darin bestand, Arbeiten des menschlichen Gehirns zu beobachten. Dr. Shaywitz sagte zu ihrer Auswahl, dass sie nicht vergleichbare Testobjekte bezüglich des IQ ausgewählt hatte, da sie sicher gehen wollte, wirklich schwache Leser zu untersuchen. Sie erklärt in ihrem Bericht nicht, wie sie festgestellt hat, dass die Menschen in der niedrigeren IQ-Gruppe Legastheniker sind.

    Es beginnt also, nach einer Studie "Leser versus Nicht-Leser" auszusehen und nicht nach einer "Leser versus Legastheniker". Wenn man eine Gruppe von Leuten, die eine besondere Fertigkeit erlangt hat, mit einer Gruppe vergleicht, die sich diese nicht angeeignet hat, indem man ihre Fähigkeiten testet, eben diese Fertigkeit anzuwenden, würde man erwarten, unterschiedliche Muster bei der Hirnnutzung zu beobachten.

    Vermutlich benutzen alle Menschen zum Austüfteln von Dingen einen anderen Teil ihres Gehirns, als dabei, wenn sie Dinge aus dem Gedächtnis abrufen. In diesem Fall könnten schwache Leser mehr dazu geneigt sein, zu versuchen, die Unsinnwörter Buchstabe für Buchstabe zu lautieren, während erfahrene Leser eher dazu fähig sein mögen, die Wörter zu analysieren, indem sie bekannte Buchstabenmuster wiedererkennen.

    Für mich wäre dies, als ob man eine Gruppe von Tanzanfängern mit einer professionellen Tanzgruppe beim Rumba-Tanzen vergleichen würde und dann zu der Entscheidung käme, dass die Anfänger irgendein Probleme mit ihren Füßen haben.

    Dr. Shaywitz berichtete, dass ihre Versuchsgruppe schwacher Leser eine "funktionelle Störung" in ihrem Gehirn hat. Verglichen mit den guten Lesern benutzen sie einige Teile ihres Gehirns nicht ausreichend und überbeanspruchen andere. Das geschah vor allem in dem "Nicht-Wort-Reim"-Test. Dr. Shaywitz nimmt an, weil der minder benutzte Teil nicht richtig arbeitete, mussten die Legastheniker den anderen Teil überbeanspruchen, um dies auszugleichen.

    Wenn man darüber nachdenkt, ist der "Nicht-Wort-Reim"-Test nicht wirklich fair. Zunächst einmal gibt es keine richtige Antwort. Zum Beispiel wird gefragt, ob sich "jete" und "leat" reimen. Aber "jete" sieht wie das französische Wort "jeté" aus, ausgesprochen "zhe-tay", welches sich definitiv nicht auf "leat" reimt. In unserer Erfahrung tendieren Legastheniker zu mehr Kreativität und könnten sich mehrere Möglichkeiten ausdenken. Vielleicht könnte also etwas an der Fragestellung falsch gewesen sein und nicht mit irgendjemandes Gehirn. Vielleicht war der Teil des Gehirns, welchen die Forscher überaktiv nannten, der Phantasiebereich. In jedem Fall begann der minder benutzte Teil besser zu arbeiten, als die Personen weiter mit dem "Semantik-Kategorie"-Test fortfuhren. Ich denke nicht, dass die Forscher diese Ergebnisse erwarteten, weil sie es nirgends in ihrem Bericht erwähnen. Aber der Parameter im Säulendiagramm bei vergleichenden Gehirnaktivitäten zeigen ein definitives Anwachsen im Gebrauch des superior temporal gyrus und des angular gyrus, welches die Gehirnteile sind, laut Dr. Shaywitz, die bei Legasthenikern gestört sind. Ich verstehe nicht, wie Dr. Shaywitz sagen kann, dass im Gehirn ihrer Versuchspersonen eine "funktionale Störung" vorliegt, nachdem sie beobachtet hat, dass diese Gehirne bei schwierigeren Tests aufhörten gestört zu sein.

    Menschen lesen, um die Bedeutung von geschriebenen Symbolen zu erhalten. Der "Nicht-Wort-Reim"-Test ist ein Schritt auf dem Weg zum Lesen lernen, ein Schritt, der sich in Kinderbüchern wie "Die Katze im Hut" widerspiegelt. Aber der "Semantik-Kategorie"-Test repräsentiert den nächsten kulminierenden Schritt begrifflichen Verstehens von der Bedeutung des Wortes. Wenn man dort ankommt, wo man hin möchte, ist es wirklich egal, welchen Weg man genommen hat. Die Funktionsstörung liegt in der Methode, die diese Wissenschaftler benutzen. Unser Gehirn funktioniert gut, danke.

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